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Lösegeldzahlung bei Entführung - ja oder nein?

Verfasst: Do 11. Sep 2008, 21:52
von schu achbar ?

MODERATOR-NOTE:   Da die nachfolgende Diskussion nichts mehr mit dem Ursprungsthema Kommentare zu "Vermisst in Südtunesien" zu tun hat, haben wir diese in einem neuen Thread gebündelt. Hier könnt ihr weiter zum Thema "Lösegeldzahlung bei Entführungen" diskutieren.


Mal ganz prinzipiell:

Finden es eigentlich Alle richtig solchen Geldforderungen nachzugeben ?

Vielleicht hat ja die Gruppe, welche jetzt die zwei Österreicher gefangenhält ihre Ausrüstung mit dem Geld gekauft, das
(über fünf Ecken )mal vor Jahren von der Deutschen Regierung gezahlt wurde.
Ich tu mich ein bisschen schwer mit so ner harten Kante, aber sowas mitzuspielen scheint neben dem `geldwerten ` Vorteil für die Täter auch die Motivation für neue Entführungen steigen zu lassen.

Was würde wohl passieren, wenn überall bekannt wird:


Die Regierung lässt sich nicht erpressen, zahlt auch nicht inoffiziell irgendwas.
Das einzige was man kriegt ist ev. ne Kugel durch eine rigide , wütende
Spezialeinheit.

Haltet Ihr das für ne gute Taktik oder nicht ?
Bitte jetzt keine Schimpfe von wegen ``Haudrauf`` oder so.
Ich will nur mal wissen, ob Ihr sowas ev. befürworten würdet.

Verfasst: Do 11. Sep 2008, 22:11
von Alexander
Hallo schu achbar ?,

deine Frage ist sehr berechtigt und verdient mit Sicherheit eine Disskussion.

Aus welchem Blickwinkel wollen wir das Dilemma betrachten? Aus der Sicht der Geiseln? Ich würde mich schön bei meiner Regierung bedanken, die mich im Stich läßt, nur weil sie sich das Prädikat der Unnachgibigkeit ausgestellt hat. Als steuerzahlende Geisel erwarte ich, daß die Regierung/Sicherheitsbehörden etwas für mich tun. Oder habe ich die Weitsicht und erkenne, daß ich nur der kleinere Verlust, also entbehrlich bin?

Oder aus der Sicht der Opfer, die durch die Nachgibigkeit und Zahlungswilligkeit der Regierungen neue Waffen, Sprengstoff und Logistik erkaufen, um neue Anschläge zu begehen oder Entführungen durchzuführen?

Oder aus der Sicht der Regierungen. Die sich einfach nicht erpressen lassen wollen und können, da sie die globale Verantwortung tragen, für das Wohl der Menschheit und dann auf dem großen Schachbrett einfach mal einen kleinen Bauer an die Front schicken, um König und Königin zu schützen?

Ein schwieriges Thema um notwendige Entscheidungen, um die ich keinen beneide.

Grüsse
Alexander

Verfasst: Do 11. Sep 2008, 22:42
von PeterM
Warum "vergreifen" sich mehr oder weniger "Entrückte" so selten an Franzosen oder noch seltener an Briten? Eben weil es statt Geld zusätzliche "Luftlöcher" gibt.

Wenn ich in bestimmte Gegenden reise, das Risiko mit aller nötigen Vorbereitung für kalkulierbar halte, und dann doch etwas passiert - ist Zahlen die Gewähr für eine Vergrößerung des Risikos für alle Nachfolgenden.
Wenn der nichtkalkulierbare "Sonderfall" eintritt: Wird er sich durch Zahlungen auch irgendwann häufen, bzw. die nichtvorhersehbaren Zwischenfälle sich auf Bürger von bekannterweise zahlenden Staaten konzentrieren.

Dass eine Kommandoaktion ein akutes Risiko mit sich bringt, d'accord. Monate unter prekären Bedingungen zu verbringen, birgt ein latentes und stetig wachsendes Risiko. Ergo?

Mit Entebbe und Mogadischu war die Flugzeugentführungswelle ziemlich rasch vorbei. Daraus lässt sich etwas lernen.

Grüsse,
Peter

P.S. Logischerweise hinterlässt der mitdenkende Fern- und Individualreisende eine Vollmacht bei jemandem, der mit der Situation umgehen kann und nicht bei der ach so warmherzigen Oma.

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 19:23
von Franz (UNI)Murr
Alexander hat geschrieben:Hallo schu achbar ?,

deine Frage ist sehr berechtigt und verdient mit Sicherheit eine Disskussion.

Aus welchem Blickwinkel wollen wir das Dilemma betrachten? Aus der Sicht der Geiseln? Ich würde mich schön bei meiner Regierung bedanken, die mich im Stich läßt, nur weil sie sich das Prädikat der Unnachgibigkeit ausgestellt hat. Als steuerzahlende Geisel erwarte ich, daß die Regierung/Sicherheitsbehörden etwas für mich tun. Oder habe ich die Weitsicht und erkenne, daß ich nur der kleinere Verlust, also entbehrlich bin?

Oder aus der Sicht der Opfer, die durch die Nachgibigkeit und Zahlungswilligkeit der Regierungen neue Waffen, Sprengstoff und Logistik erkaufen, um neue Anschläge zu begehen oder Entführungen durchzuführen?

Oder aus der Sicht der Regierungen. Die sich einfach nicht erpressen lassen wollen und können, da sie die globale Verantwortung tragen, für das Wohl der Menschheit und dann auf dem großen Schachbrett einfach mal einen kleinen Bauer an die Front schicken, um König und Königin zu schützen?

Ein schwieriges Thema um notwendige Entscheidungen, um die ich keinen beneide.

Grüsse
Alexander
Hallo Alexander,

ich finde die Entscheidung keinswegs schwierig. Die Sahara war schon immer ein rechtsfreier Raum. Wo niemand ist, schützt dich auch keiner. Jeder, der in die Wüste fährt, geht aus meiner Sicht ein erhebliches Risiko für Leib und Leben ein. Und das nicht erst in den letzten Jahren. Er ist also 100% für sich und seine Sicherheit selbst verantwortlich.
Natürlich würde ich mich freuen, wenn jemand mein Leben rettet, aber nicht durch Lösegeld. Das geht immer nach hinten los.
Jeder, der in die Sahara fährt, sollte ein Schreiben unterzeichnen, dass er auf eigenes Risiko fährt und auf keine Hilfe seitens der Regierung hoffen kann. Wenn der Tourist seine Existenz nicht so wichtig nehmen würde, sollte das kein Problem sein.
Das hätte einige negative Entwicklungen der letzten Jahre zumindest deutlich verzögert, weil nur noch ein kleiner Teil gefahren wäre.
Eine Eingreiftruppe ist die adequate Antwort für Kriminelle, die den Islam für ihr Tun missbrauchen.
Die Franzosen machen es vor.

Das ist meine, zugegebenermassen harte Sicht, die erfolgreich den Vollkasko-Tourismus in der Sahara verhindert hätte.

Deshalb: kein Lösegeld für Touristen, höchstens eine Eingreiftruppe.

no risk, no fun.

Gruß aus dem heißem Kairo

Franz

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 21:01
von schnorr
hallo franz, würdest du diese meinung auch noch vertreten, wenn deine (dann erwachsenen) kinder unter den geiseln wären und du daheim sitzt?

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 21:19
von Franz (UNI)Murr
Hallo Jörg,

aber sicher. Ich würde natürlich alles in meiner Macht stehende tun, sie zu befreien. Das ändert aber doch nichts an meiner Überzeugung.

Ansonsten erinnert mich deine Frage an die Dilemma- Fragen bei der Kriegsdienstverweigerung.

Was ich an Überzeugungen vertrete, lebe ich auch. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen.

Ich bin ein freier Mensch. Freiheit ist Risiko und 100% tige Eigenverantwortung. Ich brauche keinen Staat, der mich als Preis für eine fragwürdige Sicherheit gängelt und einschränkt.

Das wäre auch ein Thema zur innerdeutschen Sicherheitspolitik.

Gruß

Franz

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 22:20
von schnorr
Franz (UNI)Murr hat geschrieben: Ich würde natürlich alles in meiner Macht stehende tun, sie zu befreien. Das ändert aber doch nichts an meiner Überzeugung.
für mich ein widerspruch, was du schreibst, da alles auch eine lösegeldzahlung beinhaltet! und da du wahrscheinlich keine 5 millionen euro gerade in der tasche hast, wärst du wahrscheinlich froh, wenn dein land für dich einspringen würde, deine kinder da rauszuholen, oder?

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 23:04
von Franz (UNI)Murr
Hallo Jörg,

wie geschrieben:
Ansonsten erinnert mich deine Frage an die Dilemma- Fragen bei der Kriegsdienstverweigerung.
Was willst Du mit der Frage erreichen?

Die Wahrscheinlichkeit geht gegen null, dass ich in diese Situation komme.

Willst Du erreichen, dass ich keinlaut sage: Ja da würde ich Lösegeld akzeptieren?

Ich bin der Überzeugung, dass sich ein Staat nicht erpressen lassen darf. Den Schaden bezahlen unter Unständen sehr viel mehr Menschen. Ich halte mich nicht für so wichtig, dass ich um jeden Preis am Leben gehalten werden muss.

In vielen Ecken der Erde ist ein Menschenleben nichts wert. Womit leitet der Mitteleueopäer seinen hohen Lebenswert ab. Warum ist der deutsche Saharafahrer mehr wert, als der Flüchtling aus Darfur?

Mich erstaunt seit Algerien 03 das Wehklagen über die Risiken des Sahara- Reisens.
In den 30 Jahren, in den ich unterwegs bin, sind Risiken weggefallen, wie die der Navigation und schlechter Fahrzeuge, und neue hinzu gekommen, wie die al-Qaida. Alle können durchaus tötlich sein. Überfälle gab es zu allen Zeiten.
Tragisch ist, dass das freie Fahren durch die Entführungsfälle nicht mehr möglich ist.

Alle möchten die Schönheit der Wüste erleben, ohne Angst und persönliches Risiko. Das gab es nie und wird bis auf weiteres nicht anders sein. Das vermeindlich sichere Reisen in der Wüste ist Illusion.

und wo die Massen hinzogen, zog auch die al-Qaida mit. Erst Algerien, dann Mauretanien und Tunesien.

Gruß

Franz

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 23:13
von Georg Saharafan
hallo Franz,

ich habe ein bisschen mitgelesen und hätte zu Deinen Einstellungen noch 2 Fragen:
1. hast Du denn vor Deinen Sahara-Reisen immer diese Verzichtserklärung abgegeben?
2. wer sollte denn die Eingreiftruppe bezahlen/finanzieren?

lg Georg

Verfasst: Mo 22. Sep 2008, 23:32
von Franz (UNI)Murr
Hallo Georg,

was haben Deine Fragen mit meiner Geisteshaltung zu tun?

Eine solche Erklärung wäre rechtsunwirksam und ich sitze nicht im Finanzausschuss des Verteidigungsministeriums.

Ich möchte mal grundsätzlich was sagen zu meinem Verständnis von Forum.

Wenn ich etwas schreibe, ist es meine ureigenste Meinung. Ich verstehe ein Forum als Plattform zum Gedankenaustausch. Andere Denkansätze erweitern meinen Horizont.
Also würde ich erwarten, dass andere Poster Ihre Sicht der Dinge darstellen. Wertfrei, ohne andere Meinungen kommentieren zu müssen.

Schreibe doch mal Deine Sichtweise

Gruß

Franz

Verfasst: Di 23. Sep 2008, 00:08
von Manfred Franz
Franz (UNI)Murr hat geschrieben:Ich halte mich nicht für so wichtig, dass ich um jeden Preis am Leben gehalten werden muss
Lieber Franz, bei allem Respekt, ich glaube nicht dass Du diese Meinung
hast wenn es denn wirklich mal so weit sein sollte! Glaub mir jeder, auch
Du hängt an seinem kleinen bischen Leben.

Verfasst: Di 23. Sep 2008, 01:16
von Franz (UNI)Murr
Hallo Manfred,

Keine Frage, ich lebe auch gerne. Aber eben nicht um jeden Preis.

Bisher konnte ich es erfolgreich vermeiden oder ich hatte keine Zeit, dass ich um mein kleines bischen Leben bangen musste :wink:

Gruß

Franz

Verfasst: Di 23. Sep 2008, 01:33
von schu achbar ?
Auch Menschen mit Murrs Einstellung haben im Ernstfall das Recht an der vorher getroffenen Entscheidung zu zweifeln.
Das ändert nichts an deren Richtigkeit.
Es ist nur eine ganz normale, menschliche Inkonsequenz.

Aber wir brauchen da garnicht viel drüber philosophieren.
Nähme die Zahl solcher Entführungen stark zu, wäre es der Bevölkerung schlicht nicht mehr vermittelbar jedesmal mit Zahlungen im siebenstelligen Bereich zu reagieren.
Zeit zum Schlafen.
Gute Nacht...

Verfasst: Di 23. Sep 2008, 08:18
von schnorr
hallo franz, diese diskussion habe ich an anderer stelle schon einmal gelesen.

ich lasse dir deine meinung, und traue dir auch zu, für dich selber so zu denken und zu handeln.

viele menschen sagen, dass der staat für solche risikoreisenden nicht zahlen sollte. aber die meisten, die so denken, kommen sehr selten in eine solche situation.

ich hoffe von herzen, dass du und deine familie nie in die zwangslage kommst, aber auch ich will es dir (mir zuliebe) nicht abnehmen, dass du diese -ich bezeichne das einmal als härte, die du dir gegenüber auch zu recht haben magst- auch deinen kindern gegenüber haben wirst.

ich wäre froh, wenn der staat für mich einspringen würde.

natürlich kommen mir auch gedanken daran, schick die ksk und die gsg9 los und alles ist gegessen, aber das risiko, dass die geiseln dabei sterben ist immer gegeben. und die vorwürfe, die ich mir machen würde, wenn eines meiner kinder dabei wäre, mag ich mir nicht vorstellen.

Verfasst: Di 23. Sep 2008, 10:06
von PeterM
Auch Bezahlen ist keine Garantie für die sichere Rückkehr: In Nordafrika "vertrocknet" man recht schnell, bei größeren Gruppen sind die Entführer mit zunehmendem (finanziellen) Erfolg und dem Beweis der Wiederholbarkeit nur verleitet, einen Toten zur Demonstration ihrer Entschlossenheit zurückzuschicken (soll bei Geiselnahmen außerhalb Afrikas schon öfter vorgekommen sein - bitte nicht dumm stellen).

Wenn die zulässigen und unzulässigen Optionen von vornherein definiert sind, stellt sich die Frage der Selbstvorwürfe im Nachhinein nicht mehr, dann ist bei der Auswahl des Reiseziels und der tatsächlichen Durchführung die Entscheidung gefallen - oder geht es in der Diskussion nur darum, nicht zu den Konsequenzen zu stehen, wenn's doch einmal hart auf hart geht?

<provokation ein>Für letzteren Fall suche ich mir nur noch französische und britische Reisepartner und meide deutsche.<provokation aus>

Grüsse,
Peter